Seelsorgliche Begleitung

Die Kirche steht zu ihrer zentralen Rolle als "Anwältin des Lebens" und der spirituellen Begleitung der Menschen auch im Sterben. Andererseits muss sie sich den rechtlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten stellen, die ein Recht auf Selbstbestimmung im Sterben fordern. In diesem Spannungsfeld treffen theologische Grundsätze auf die Erfahrungen aus der seelsorgerischen und pflegerischen Praxis, die in begründeten und wohl erwogenen Einzelfällen dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod in sicherer Form nachgibt.

In verschiedenen Positionspapieren wird dargelegt, dass die Hinwendung zum Suizidwilligen und ein offenes Ohr für seinen Wunsch elementar sind. Um ihm oder ihr den nötigen Respekt entgegen zu bringen, aber auch, um in einer tragfähigen Beziehung die Beweggründe in ihrer Komplexität zu ergründen.

Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Gemeinden, Kliniken und allen anderen stationären Einrichtungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche und der Diakonie Bayerns begleiten die Personen vor Ort. Als erstes haben sie die Menschen, PatientInnen und BewohnerInnen vor Ort im Blick.

Seelsorgende verstehen sich auch als Ansprech- und GesprächspartnerIn für die Mitarbeitenden in den Einrichtungen. Das liegt einerseits daran, dass viele Seelsorgende von ihrer Kirche geschickt bzw. entsendet werden und deshalb nicht zu einem Team aus dem Haus gehören. Zudem unterliegen die Gespräche mit dem Seelsorgenden der Verschwiegenheit. Deshalb fällt es einigen GesprächspartnerInnen leichter, sich Seelsorgenden zu öffnen.

Grundsätzlich versteht sich Seelsorge als Grundaufgabe der Kirche. Die seelsorgliche Begleitung von Menschen in schweren Lebenssituationen hat eine lange Tradition. Prägend ist die Hinwendung Jesu zu den Menschen, insbesondere in Notsituationen: Eine wichtige Bibelstelle ist z. B. die Erzählung von den zehn Aussätzigen, hier nachzulesen.

https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU17/LUK.17/Lukas-17

In den kirchlichen Überlegungen und Konzeptionen zur Arbeit der Seelsorgenden gab es verschiedene Ansatzpunkte. Es gab Epochen, in denen Seelsorge als Hinführung zum richtigen Glauben beschrieben und gefordert wurde. Sehr verkürzt dargestellt: Wenn man den richtigen Glauben hat, dann erträgt man alle Nöte sowieso oder deutet die eigene Notsituation als göttliche Prüfung.

Die neueren und aktuellen Konzepte für seelsorgliches Handeln nehmen deutlich die Person in den Blick und auch die vorherrschende Notsituation. SeelsorgerInnen verstehen sich als Unterstützende der begleiteten Personen. In Gesprächen und Ritualen bieten sie Stärkung und Unterstützung für die (seelischen) Belange der Menschen. In den Gesprächen haben auch Themen Platz wie: Warum lässt Gott dazu? Oder warum tut Gott mir das an?

Unterstützung im Gespräch

Allein die offene Gesprächsbereitschaft über einen selbstbestimmten Todeszeitpunkt ist für viele Betroffene eine große Erleichterung und Trost, berichten die allermeisten PraktikerInnen. Bis hin zu der Tatsache, dass danach auf die Herbeiführung eines vorzeitigen Lebensendes auch verzichtet wird. Ebenso gefragt sind die Seelsorger aber im Gespräch mit Angehörigen und Nahestehenden über dieses Thema.

Dem Zwiespalt Gläubiger, die sich einen assistierten Suizid wünschen und dennoch fragen, ob sie das dürfen, stellt auch Seelsorgende vor große Fragen. Dem Vorgang aktiv den Segen zu geben, überschreitet beispielsweise für Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm die Grenze dessen, was er als Vertreter der Kirche verantworten kann.

Jürg Spielmann, evangelisch-reformierter Pfarrer in der Schweiz, sieht im Zulassen dieser Zweifel hingegen die gemeinsame Glaubens-Arbeit mit einer sterbenswilligen Person: "Es war gut, das gemeinsam (...) ins Gebet legen zu können, denn es war uns beiden bewusst: Wirklich wissen können wir es nicht, was richtig und falsch ist. Zu sagen: Danke, himmlischer Vater, deine Vernunft ist größer als unser Unvermögen (..) danke, Du nimmst uns auch in dieser Entscheidung an." (Podcast des SRF) Er komme nicht mit einem fertigen Konzept zu einer oder einem Kranken, sondern versuche, die persönlichen Wünsche zu erspüren.

Pauschal kann auch nicht benannt werden, was eine "Begleitung" beinhaltet. Begleitung und Beratung einerseits und Rituale andererseits sind Teil eines breiten Spektrums an Handlungsfeldern (Vgl. Dorothe Arnold-Krüger und Julia Inthorn: Einstellungen und Erfahrungen von Gemeindepfarrpersonen in Deutschland, Projekt Seelsorge und assistierter Suizid. In: Michael Coors/ Sebastian Farr (Hg.): Seelsorge bei assistiertem Suizid. Ethik, Praktische Theologie und kirchliche Praxis. Zürich 2022. Seiten 129-141.)

In ihrer Studie im Kontext der Hannoverschen Landeskirche befragten die Autorinnen Seelsorgende zu ihren Erfahrungen mit Assistiertem Suizid (Projektzeitraum 2020-2022). Oft geht es demnach um die Begleitung bei der Entscheidungsfindung, eher selten um die Organisation, nur eine von 19 Anfragen führte zur konkreten Begleitung des Sterbevorgangs. Nach ihrer eigenen Haltung befragt, wünschten sich viele der ProjektteilnehmerInnen eine offene Diskussion innerhalb der Kirche und auch weitergehend mit anderen Disziplinen im öffentlichen Diskurs. 

Eine intensive Debatte über diese Fragen ist sicher noch nicht abgeschlossen.