Interview mit Diakonie-Vorständin Sandra Schuhmann

Während theoretisch über den Assistierten Suizid und geplante Gesetze diskutiert wird, sind die Pflegeeinrichtungen im Alltag längst mit diesen Fragen und Wünschen konfrontiert. Die Diakonie Deutschland und die Diakonie Bayern haben entsprechende Orientierungshilfen veröffentlicht. Sandra Schuhmann, Vorständin für Gesundheit und Teilhabe beim Diakonischen Werk Bayern, spricht über die Überlegungen und Konsequenzen in den diakonischen Einrichtungen.

Sandra Schuhmann, Vorständin Gesundheit und Teilhabe Diakonie Bayern
Bildrechte Diakonie Bayern
Sandra Schuhmann, Vorständin
Gesundheit und Teilhabe der Diakonie Bayern

Zu welchem Zeitpunkt diskutiere ich das Thema Assistierter Suizid am besten mit einem alten oder kranken Menschen?

Es kam im Zuge der Einführung von Patientenverfügungen und anderen Vorausverfügungen die Debatte auf, ob es Sinn macht, zum Thema Assistierter Suizid auch eine Vorausverfügung anzubieten. Damit jemand vielleicht schon im Vorfeld ankreuzen kann, ich möchte einen Assistierten Suizid in Anspruch nehmen, weil er oder sie zum gegebenen Zeitpunkt vielleicht nicht mehr in der Lage ist, sich sprachlich auszudrücken. Das geht gar nicht, da schließe ich mich der Haltung der Diakonie Deutschland an. Denn mit der jeweiligen gesundheitlichen und sonstigen Lebenssituation ändern sich auch die Bedürfnisse. Dennoch ist es wichtig, frühzeitig über das Thema "Wie möchte ich mal sterben" zu sprechen.  Häufig machen sich Menschen viel zu spät Gedanken darüber, wie es weitergehen soll bei Krankheit, und wie ihr Leben einmal enden soll. Angefangen von der Bestattung bis zur Begleitung beim Sterben.

Das Sterben ist aber nochmal ein anderes Thema als das, was nach dem Tod passiert.

Ja, und auch da ist es sehr wichtig, im Vorfeld – und so früh wie möglich, eventuell schon in den ambulanten Angeboten – darüber zu sprechen. Denn es kann auch eine große Bürde für die An- und Zugehörigen sein, all das zu entscheiden, ohne den Willen der betroffenen Person zu kennen. Das nennt sich "Gesundheitliche Vorausplanung für die letzte Lebensphase".

Hat sich das Gesprächsklima in den Einrichtungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Assistierten Suizid geändert? Ist er öfter Thema? Es ist ja einfach menschlich, solche Themen erstmal zu verdrängen.

Vereinzelt wird das Thema Assistierter Suizid angesprochen, aber wir haben ja noch keine Rechtsgrundlage in Form eines Gesetzes zur Umsetzung des assistierten Suizids. In den Einrichtungen der Diakonie ist es unter den Teammitgliedern ein Thema, deshalb haben auch mehrere Fachverbände der Diakonie die Orientierungshilfe "Bin ich so frei?" herausgegeben. Und bei allen Diskussionen wurde klar, dass es beide Extreme in unseren Einrichtungen, aufgrund unserer christlichen Grundhaltung, nicht geben kann. Weder, den Assistierten Suizid aktiv zu bewerben. Noch darf es aber sein, dass man Menschen mit einem aktiven Sterbewunsch sagt: "Bei uns darfst Du nicht selbstbestimmt sterben."  Denn der Satz „Bei uns wird es das nicht geben“ ist schnell gesagt. Aber man muss sich überlegen, was das in den einzelnen Kontexten konkret bedeutet. Keiner will einem multimorbiden Menschen am Lebensende sagen, "Du musst jetzt ausziehen, wenn du sterben willst." Wir stehen für das Leben und beraten in diese Richtung. Aber wir begleiten auch bis zum Tod.

Wie sähe das in der Praxis aus? Wenn das Team einer Pflegeeinrichtung sich offener für den Assistierten Suizid zeigt als das einer anderen Einrichtung – würden dann die Einrichtungen einen gewissen Stempel erhalten – in Heim A geht es, in Heim B muss man lange diskutieren?

Erstmal ist ja nicht geklärt, ob wir überhaupt das Hausrecht hätten, um einem Team, das beim Suizid hilft, den Eintritt zu verwehren. Es gibt unterschiedliche Meinungen dazu. Ich glaube, es braucht tatsächlich individuelle Lösungen für die Einrichtungen, weil per Gesetz ja auch niemand dazu gezwungen werden kann, bei einem assistierten Suizid zu helfen. Deshalb kann ich niemanden meiner Mitarbeitenden verpflichten, beim Suizid zu assistieren und das ist auch gut so. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema braucht eine hohe Partizipation der Mitarbeitenden und ist ein Prozess auf allen Ebenen.

Findet dieser Dialog schon statt?

Ja, in etlichen unserer Einrichtungen findet er statt. Mir wäre es dabei sehr wichtig, dass wir vom Fokus auf den assistierten Suizid wegkommen, denn er ist eines der letzten Mosaiksteinchen in einer langen Reihe des Leidens eines Menschen – physisch oder psychisch.

Sie fordern wie viele Vertreter nicht nur aus der evangelischen Kirche ein Suizidpräventionsgesetz. Wie könnte dies aussehen?

Wir bräuchten erstens eine Beratung, die ganzheitlich ansetzt und eine Art Clearing-Funktion hat. Erste Entwürfe sehen nur eine medizinische Beratung vor, das greift meines Erachtens zu kurz. Es geht nicht nur darum, wie das eingesetzte Medikament wirkt. Das steht für uns ganz am Schluss. Wir müssen auch raus aus der begrenzten Diskussion über multimorbide, alte Menschen. Denn auch junge, nicht sterbenskranke Menschen, die aus welchen Gründen auch immer einen Todeswunsch haben, müssen von einem solchen Suizid-Präventionsgesetz berücksichtigt werden. Wir brauchen eine Clearing-Stelle, die eine hohe Kompetenz einerseits in der Beurteilung von Problemlagen der Menschen hat und andererseits in der verbindlichen Weitervermittlung zu den richtigen Hilfsangeboten.

Zweitens ist der Ausbau der Hospiz- und Palliativ-Versorgung nötig. Erst ganz am Ende kommt die Debatte um den assistierten Suizid. Denn ganz oft schieben die Betroffenen den Wunsch zu sterben wieder weit weg, wenn sie ganz offen über alle Konsequenzen und Alternativen gesprochen haben. Deshalb müssen wir das Thema aus der Tabuzone holen. Auch Supervision und kontinuierliche Begleitung der Pflegenden müsste sich im Suizid-Präventionsgesetz bzw. im Gesetz zum assistierten Suizid wiederfinden. Nicht nur der Sterbewillige, auch das System der Begleitenden – Angehörige wie ehren- und hauptamtlich Pflegende – muss dabei intensiv gestützt werden.

Sind solche intensiven Gespräche in der alltäglichen Betreuung überhaupt machbar angesichts der Personalnot – nicht nur bei Pflegenden, sondern auch bei SeelsorgerInnen?

Wir haben einen ziemlichen Stellen-Einbruch in der Altenheim-Seelsorge. Das ist schwierig, denn sowohl für die Klienten als auch für die Mitarbeitenden wäre sie so wichtig. Auch im Hinblick auf den oben erwähnten Prozess, der parallel zum Gesetzgebungsverfahren, stattfinden muss. Ein Mensch lebt nicht nur in einem System, sondern er stirbt auch in einem System und daher muss dieses System ebenso gestützt und ausgebaut werden. 

Interview: Katharina Erlenwein

 

Weitere Informationen finden Sie im Positionspapier der Diakonie Bayern zum Assistierten Suizid.