"Sichere Orte"

Können kirchliche Einrichtungen Menschen einen sicheren Rahmen bieten, um selbstbestimmt zu sterben?

In dem vielbeachteten Artikel in der FAZ vom 11.01.2020 betonten Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, Reiner Anselm, Professor für Systematische Theologie und Ethik und Isolde Karle, Inhaberin des Lehrstuhls für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum:

(Die) ständige Verbesserung der palliativen Versorgung sowie der psychosozialen und seelsorglichen Begleitung von schwerst- und sterbenskranken Menschen (bleibt) in einer älter werdenden Gesellschaft eine wichtige gesellschaftliche und politische Daueraufgabe. (...) Der Schutz umfasst aber auch, die Zugänglichkeit eines assistierten, professionellen - und das meint: auf sichere und nicht qualvolle Weise vollzogenen - Suizids zu ermöglichen.

In Sicherheit sterben

Die drei Theologen plädieren dafür, die Evangelische Kirche und ihre Einrichtungen als "sicheren Ort" zu gestalten: Sichere Orte wären in dieser Perspektive kirchliche Einrichtungen nicht deswegen, weil sie bestmögliche Palliativversorgung gewährleisten, sich aber dem Suizid verweigern. Sondern vielmehr, weil sie einem Sterbewilligen unter kontrollierten und verantworteten Rahmenbedingungen "in einem aus dem christlichen Glauben entspringenden Respekt vor der Selbstbestimmung Beratung, Unterstützung und Begleitung anbieten."

Insbesondere den Angeboten von Organisationen, die nicht im Sinne des Lebensschutzes oder eigennützig handeln, wollen die drei Theologen durch die Begleitung durch qualifizierte interdisziplinäre Teams in den Einrichtungen der Kirche begegnen. Dabei soll auch das familiäre Umfeld mit einbezogen werden.

Auch sie wollen jedoch gesichert wissen, dass es keine "Normalität" des selbst eingeleiteten, assistierten Sterbens gibt. Die Unterstützung bei der Suche nach Alternativen in jedem individuellen Fall steht im Vordergrund. Menschliche Begleitung bis zuletzt - das bedeutet in dieser Perspektive aber auch, jedem zur Seite zu stehen, auch denen, die dauerhaft einen Wunsch äußern, dass sie selbstbestimmt und vorzeitig sterben wollen.

Link zum Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

 

"Sichere Orte" im Sinne des Schutzes vor Suizidhilfe-Angeboten

Der Deutsche Hospiz- und Palliativverband e.V. fordert:

Es bedarf einer gesetzlichen Verankerung, die regelt, dass keine Einrichtung des Gesundheits- und Sozialwesens gezwungen werden kann, assistierten Suizid – in welcher Form auch immer – zu unterstützen.

Dies heißt in Konsequenz, dass Einrichtungen der Palliativversorgung als "sichere Orte" gelten, in denen die dort betreuten Menschen, ihre Zugehörigen, aber auch die dort tätigen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen sichergehen können, mit dem assistierten Suizid in all seinen problematischen Ausprägungen nicht konfrontiert zu werden."

Auch Petra Bahr, Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers sowie Mitglied im Deutschen Ethikrat, fordert die gesetzliche Garantie,

... dass Einrichtungen in religiöser Trägerschaft auch die Möglichkeit verbleibt, sich als 'safe spaces' zu definieren, in denen niemand mit Angeboten der Suizidhilfe konfrontiert wird.

 

Fachliche Beurteilung

Fachleuten aus einer Vielzahl von Berufsfeldern wird nun die Aufgabe zukommen auszuarbeiten, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um die Freiwilligkeit einer Entscheidung zum assistierten Suizid zu beurteilen. Die Unterscheidung zwischen

  • psychischen Erkrankungen (deren Therapie den Blick auf das eigene Leben möglicherweise wieder verändern),
  • schweren physischen Leiden (die medikamentöse Behandlungen bis hin zur palliativen Sedierung als Alternative ermöglichen) und
  • prinzipiell gesunden Menschen, die nach persönlicher Abwägung dem berechenbaren Todeseintritt den Vorzug vor dem Weiterleben geben

wird den jeweiligen Fall und die Beurteilung der Selbstbestimmtheit der Entscheidung prägen.

Sowohl in den Entwürfen zur Suizid-Prävention als auch zur Sterbebegleitung ist ein Fach-Team aus mehreren Disziplinen vonnöten, um die psychische und physische Lage der Betroffenen zu beurteilen. (Krankenhaus-)Seelsorger, Krankenpflegerinnen, Fachärzte unterschiedlicher Gebiete, Hospiz-Beschäftigte sind zum Beispiel gefragt, um einen individuellen Sterbewunsch als akut oder anhaltend, freiwillig oder eher fremd-initiiert, zu beurteilen.

Solche Teams regional und dezentral, Fachstellen- und Einrichtungs-übergreifend einzurichten wird die Aufgabe sein, um Bedürftigen die notwendige Information und Ansprache zur Verfügung zu stellen.

Die Diakonie hat für sich und ihre Mitarbeitenden den Grundsatz formuliert, dass der reflektierte Wunsch nach einem assistierten Suizid respektiert werden muss.

Betroffene im zugehen auf den selbstgewählten Tod nicht allein und unbegleitet zu lassen, (...) ohne in irgendeiner Weise Assistenz bei der Selbsttötung zu leisten.

In der Praxis bedeutet dies: Außenstehende, die beim Suizid assistieren, werden in Einzelfällen in den diakonischen Einrichtungen zugelassen.