Gedanken zum Begriff Würde

In der Auseinandersetzung mit unheilbar Kranken, die den Wunsch zu sterben äußern, fällt immer auch der Begriff Würde. Er steht im vielschichtigen Kontext zu

  1. Kulturellen Bezügen
  2. Individuellem Empfinden
  3. Den Bedenken, anderen zur Last zu fallen
  4. Vorstellungen vom Sterbevorgang "in Würde"

1. Kulturelle Bezüge

Im Zusammenspiel von gesellschaftlichen Überlieferungen, religiöser Prägung unserer Gesellschaft und historischen Zusammenhängen ist der assistierte Suizid verflochten, z.B.

  • Ächtung von Suizid in christlicher Überlieferung über Jahrhunderte hinweg
  • Negativbeispiel der "Euthanasie" im "Dritten Reich"
  • „Optimierung“ des Individuums und somit Suizid als reine Position der Schwäche (das Leid nicht ertragen zu haben)
  • Aber auch: "Optimierung" des Individuums und somit Suizid als Lösung für Kranke, die sich nicht mehr als wertvollen Teil der Leistungs-Gesellschaft sehen können (oder von anderen als solcher gesehen werden).

2. Individuelles Empfinden

Die Grenzen dessen, was ein Mensch als würdevoll empfindet, sind unterschiedlich: Fängt das bei der Hilfe zur Nahrungsaufnahme an oder erst bei völliger Unfähigkeit, seinen Körper zu kontrollieren? Ist die Fähigkeit, selbst zu entscheiden bzw. der Vollbesitz geistiger Fähigkeit entscheidend? Zu welchem Zeitpunkt ist dies zu entscheiden, wenn eine fortschreitende Demenz diagnostiziert wird?
Es gibt keinen generalisierenden Blickwinkel auf den jeweiligen Fall. Die Ursachen des Sterbewunsches sind stets individuell verschieden, der Fokus des oder der Sterbewilligen ein anderer als seiner An- oder Zugehörigen oder der Ärzte.

Im Gegensatz zu einem impulsiven Akt der Selbsttötung in einer akuten psychischen Krise ist der anhaltend geäußerte Wunsch nach einem assistierten Suizid meist Ergebnis einer längeren Überlegung der Betroffenen. Sie sehen damit ihre Würde im Leben wie im Sterben gewahrt. Die Diakonie schreibt in ihrer Orientierungshilfe:

Ein Mensch, der die Entscheidung getroffen hat, seinem Leben assistiert ein Ende zu setzen, stellt dahinter eine Fortsetzung der Beziehung zu anderen Menschen zurück, die ihm wichtig sind. Er verzichtet auf die Fortsetzung von Lebenskonzepten, die bislang wichtig waren - und damit auf Zukunftsperspektiven.

Entsprechend unterschiedlich muss die Reaktion bzw. das Angebot zur Hilfe beim Sterben sein. Diese individuellen Faktoren herauszuarbeiten ist ein längerer Prozess, bei dem Vertraute der Betroffenen, Fachleute wie Palliativ-Ärzte sowie Seelsorger gleichermaßen gefragt sind.

Reiner Anselm, Ulrich Lilie und Isolde Karle schreiben:

Die Einsicht, dass die besondere Würde der Person als Fundament der liberalen Kultur keinen Widerspruch zu den eigenen Traditionen darstellt, gehört zu den entscheidenden Lernerfahrungen der christlichen Ethik der Gegenwart - im Protestantismus ebenso wie im Katholizismus. Diese Einsicht ist ein hohes Gut, bildet sie doch die entscheidende Kraftquelle für das politische Engagement von Christinnen und Christen in der menschenrechtsgebundenen, rechtsstaatlich-liberalen Demokratie. Denn bei allen Unterschieden in konkreten politischen Entscheidungen finden sich alle darin wieder, für die Würde der Menschen einzutreten und das Handeln der Verantwortlichen und die notwendigen politischen Strukturen daran zu messen.

3. Die Angst, zur Last zu fallen und der Pflegenotstand

Ein wichtiges Argument in der Debatte ist die vermutete Gefahr, Kranken und Sterbenden würde direkt oder indirekt vermittelt, sie seien für die Umgebung eine Last.
In ihren Gedanken zum legislativen Schutzkonzept betont die EKD diese Dimension: "Organisierte Sterbehilfe hingegen birgt in den Augen der Kirchen die Gefahr, dass es zu einer Verschiebung hin zu einer Normalisierung des Suizids kommt." Dem sei durch präventive Maßnahmen und Aufklärungsarbeit entgegenzuwirken.
Ein Klima der Akzeptanz des Suizids bei schwerer Krankheit könne befördert werden durch den dauerhaften Mangel an Pflegekräften in den entsprechenden Einrichtungen. Dem Gedankengang, den Kranken einen assistierten Suizid bewusst oder unbewusst nahezulegen, ist entgegenzuwirken.

4. Vorstellungen vom Sterbevorgang "in Würde"

Das Sterben selbst ohne Qual oder "entwürdigende" Vorgänge steht für viele Patienten im Fokus, die über Suizid nachdenken. Auch der letzte Lebensabschnitt soll - etwa bei Demenz - dahingehend abgekürzt werden, dass die individuelle Vorstellung von Würde gewahrt wird.
Die Konferenz der AltenPflegeHeimseelsorge in der EKD schreibt in ihrer Orientierungshilfe (2021):

Die eigene Sterblichkeit nimmt einem Menschen nicht die Würde, die Vulnerabilität und Verletzlichkeit macht Leben umso kostbarer und schützenswerter. Die Seelsorge im Alter sieht in einer anteilnehmenden Sterbebegleitung durch eine palliative Versorgung mit Hilfe einer guten Pflege, einer medizinischen Versorgung, einer seelsorgenden Begleitung und besonders durch die Nähe von Angehörigen und Zugehörigen die Würde des menschlichen Daseins geschützt. Ängste verlieren ihre bestimmende Kraft, wenn ihnen in der Seelsorge der Raum eingeräumt wird, den sie benötigen. Die Wertschätzung eines Menschen, in dem sie ihn in diesen dunklen Stunden seines Lebens nicht alleinlässt, ist für die AltenPflegeheimSeelsorge die Alternative zum selbstbestimmten Tod.